Tagebuchblatt lyrics
Tagebuchblatt lyrics
Am Abhang hinterm Hause hab ich heute
Durch Wurzelwerk und Steinicht eine Grube
Gehauen und gegraben, tief genug,
Und jeden Stein aus ihr entfernt und auch
Die spröde, dünne Erde weggetragen.
Dann kniet ich eine Stunde da und dort
Im alten Wald und sammelte mit Kelle
Und Händen aus vermoderten
Kastanienstrünken jene schwarze, mulmige
Walderde mit dem warmen Pilzgeruch,
Zwei schwere Kübel voll, trug sie hinüber
Und pflanzte in die Grube einen Baum,
Umgab ihn freundlich mit der torfigen Erde,
Goss sonngewärmtes Wasser langsam zu
Und schwemmte, schlämmte sanft die Wurzel ein.
Da steht er, klein und jung, und wird da stehen,
Wenn wir verschollen sind und unserer Tage
Lärmige Größe und unendliche Not
Vergessen ist und ihre irre Angst.
Föhn wird ihn beugen. Regenwind ihn zausen,
Sonne ihm lachen, nasser Schnee ihn drücken,
Zeisig und Kleiber werden ihn bewohnen,
An seinem Fuß der stille Igel wühlen.
Und was er je erlebt, geschmeckt, erlitten,
Der Jahre Lauf, wechselnde Tiergeschlechter,
Bedrückung, Heilung, Wind- und Sonnenfreundschaft,
Wird täglich aus ihm strömen im Gesang
Des rauschenden Laubes, in der freundlichen
Gebärde seines sanften Wipfelwiegens,
Im zarten süßen Duft des harzigen Saftes,
Der seine schlafverklebten Knospen feuchtet,
Im ewigen Spiel der Lichter und der Schatten,
Das er zufrieden mit sich selber spielt.
- Artist:Hermann Hesse